Digitalisierung von Instandhaltungsprozessen

 

Das Ziel eines jeden produzierenden Unternehmen ist es, die Ausfallzeiten von Maschinen und Anlagen zu minimieren und die Verfügbarkeit für Produktion und Fertigung zu maximieren. Um das zu erreichen, kommt der jeweiligen Instandhaltungsstrategie eine besondere Bedeutung zu. Anlagenstörungen, unvorhergesehene Ausfälle, nicht planbare Maßnahmen in der Instandhaltung sind immer eine Einflussgröße, die Planung und Budgetkalkulation erschweren. Das sogenannte „Predictive Maintenance“ kann dazu beitragen, diese planerischen Unschärfen zu beseitigen. Bedingung für eine deutlich verbesserte Anlageneffektivität durch prädiktive Instandhaltungsstrategien wie die Vorausschauende Instandhaltung ist jedoch eine durchgängige Optimierung der Prozess-Digitalisierung

Wir wissen heute, dass die Kosten für Instandhaltung und Instandsetzung ca. 40% der Gesamtkosten ausmacht (Eick, Reichel, Schmidt: Instandhaltung Kapitalstock Deutschland, 2011, S.4). Andere Schätzungen des FVI e.V. gehen ebenfalls davon aus, dass ca ein Drittel der direkten und indirekten Kosten durch Instandhaltungsmaßnahmen verursacht werden. Auswertungen und Umfragen in unterschiedlichen Branchen ergeben, dass sehr viele Unternehmen noch relativ konservative Instandhaltungsstrategien verfolgen. Obwohl bereits Anwendungen und Verfahren zu „Predictive Maintenance“ teilweise Einzug in gängige Praxis gehalten hat, zeigen sie noch keine durchgängige kostensenkende Wirkung, weil der Durchdringungsgrad der Prozess-Digitalisierung (noch) nicht hoch genug ist. Analysen und Auswertungen im Bereich Schwingungsdaten bzw. Thermografien sind technisch bereits weit verbreitet. Andere Anwendungsfälle für das Predictive Maintenance sind zum großen Teil noch nicht erschlossen. (s. FVI Branchenindikator 2020 Q3).

Als besonderer Nachteil der konservativen Instandhaltungsstrategien wird vor allem die unzureichende Planbarkeit vor allem der Instandhaltungsressourcen angesehen:

Das Strategie-Szenario der "Störungsbedingten Instandhaltung" ist eine weitgehend auf unvorhergesehene Maschinen- und Anlagenausfälle hin ausgerichtete Strategie. Sie ist in ihrer Handlungsstruktur immer reaktiv. Bedingung ist stets die schnellstmögliche Wiederherstellung der Einsatzbereitschaft des ausgefallenen oder gefährdeten Objekts unter Berücksichtigung von wirtschaftlichen und sicherheitstechnischen Aspekten.

Es geht hierbei also um eine Sofortinstandsetzung. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal zur geplanten Instandsetzung ist somit die Unmöglichkeit der Planbarkeit – denn Störungen und Ausfälle treten in der Regel unvorhergesehen auf.  Schaut man sich zudem die Prozessbedingungen der „Vorbeugenden Instandhaltung“ an, fallen als weitere Abgrenzungsmerkmale die terminliche Vorbestimmtheit der Wartungs- und Inspektionsmaßnahmen aufgrund von regelmäßigen Zyklen und wiederkehrenden Terminen auf.

Die folgende Grafik zeigt die Möglichkeiten der Ressourcenplanbarkeit in den Szenarien der Reaktiven bzw. Geplanten Instandsetzung zur Vorbeugenden Instandhaltung auf.

 

 

Instandhaltungsstrategien

Störungsbedingte (Reaktive) Instandsetzung

Bei der störungsbedingten oder reaktiven Instandhaltung erfolgen Maßnahmen erst nach dem Auftreten des Ausfalls, die unter Umständen lange Stillstandzeiten und damit verbunden eventuelle Produktionsausfälle verursachen kann. Mit zunehmender Lebenslaufzeit der Anlagen, steigt das Kostenrisiko für unvorhergesehene Instandsetzungsmaßnahmen enorm an.

Geplante Instandsetzung / Instandhaltung

Die geplante Instandsetzungs- bzw. Instandhaltungsstrategie orientiert sich exakt am konkreten Abnutzungsgrad des Instandhaltungsobjekts. Sie verfolgt somit das Ziel, Bau- und Verschleißteile noch vor dem Ausfall auszutauschen. Oftmals werden hierbei Anlagenteile unabhängig vom Zustand auf Basis von Zeitintervallen oder Messpunkten ersetzt. Eine individuelle Betrachtung der eigentlichen Anlagenbeanspruchung durch übermäßige oder geminderte Nutzung bleibt hier meistens aus mit der Folge, dass die Planung der Instandhaltungsmaßnahmen in Bezug zur Beanspruchungsabweichung meist ungenau ist: So könnten in einigen Fällen Reparaturen später, in anderen Fällen durchaus früher durchzuführen sein. Der richtige Zeitpunkt der IH-Maßnahme ist somit ungenau – manchmal verbunden mit Anlagenstillständen oder zu frühen Eingriffen, die ihrerseits wiederum entsprechende Auswirkungen auf die Ersatzteilverfügbarkeit und weitere logistische Aktivitäten haben kann.

 

Zustandsbasierte (vorbeugende) Instandhaltung

In dieser Strategie ist der tatsächliche Zustand aufgrund von Verschleiß Ausgangspunkt für zustandsbasierte Instandhaltungsmaßnahmen. Weder Zeitintervalle noch Messbelege kommen bei dieser Strategie zum Tragen sondern konservative Methoden wie Inspektionen, Revisionen oder Begehungen. Zusätzliche technische Merkmale unterstützen jedoch mehr und mehr bei der Beurteilung des Instandhaltungsumfangs: Sensorik erfasst Daten, die als Kriterien für Maßnahmen zusätzlich herangezogen werden, um Sollwerte oder Schwellwerte innerhalb der IH-Regelwerke besser beurteilen zu können

Vorausschauende Instandhaltung

Das sogenannte Predictive Maintenance ist eine technologiebasierte Erweiterung der zustandsbasierten Vorgehensweise. Hierbei wird künstliche Intelligenz (KI oder AI für Artificial Intelligence) genutzt um über Machine-Learning-ein auf historische Sensordaten gewonnenes Erfahrungsmuster in konkrete Entscheidungsmodelle umzusetzen. Diese Modelle können Grundlage für Instandhaltungsplanungen sein, die ihrerseits wiederum präzise Berechnungen auf Anlagenzustand, Kapazitätsprognosen oder Ersatzteilbeschaffung ermöglichen.

 

Predictive Maintenance ist bei Ausschöpfung aller technologischen Möglichkeiten die zur Zeit sicherste Instandhaltungsstrategie um Stillstände, Ausfälle und somit Kosten zu minimieren. Darüber hinaus sind die Auswirkungen auf Ersatzteilbevorratung oder -Beschaffung von nicht zu unterschätzender Bedeutung: Mit dem Einsatz von prädikativen IH-Strategien lassen sich die Kapitalbindungen in den Ersatzteillägern deutlich reduzieren, Lieferzeiten besser einschätzen und somit Planungssicherheit erhöhen.

 

 

Vorteile durch den Einsatz von Predictive Maintenance

Ziel jeder Instandhaltung ist es, die technische Verfügbarkeit von Anlagen und Maschinen für den Fertigungsbetrieb sicherzustellen und darüber hinaus Störungen oder Defekte zu minimieren. Der Vorbeugenden Instandhaltung kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu. Je nach Branche oder Produktionsbedingung werden in der Instandhaltungsplanung die Zeitintervalle für die IH-Maßnahme etwas kürzer geplant als die mittlere Einsatzdauer der betrachteten Anlage zwischen zwei Ausfallereignissen. Manchmal jedoch passiert es, dass bei der Durchführung der Instandhaltung festgestellt wird, dass die Notwendigkeit dieser Maßnahme zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegeben war: Der Verschleißpunkt war zu gering, die für die Instandhaltung benötigten Ersatzteile wurden bestellt und stehen bereit, die Anlage selbst und evtl. sogar ganze angrenzende Produktionsteile wurden abgestellt.

Instandhaltungsmaßnahmen sind immer mit Kosten und sehr oft mit Stillständen in der Produktion verbunden. Daher werden vom IH-Management soviel Instandhaltungstätigkeiten wie notwendig und so wenig wie möglich geplant und durchgeführt, um eben diese Stillstandzeiten zu minimieren.

Predictive Maintenance bietet eine hohe Planbarkeit aufgrund der Informationen über Verschleiß und Nutzungsgrad der Maschinen und Anlagen. Letztlich wird eine Verbesserung in der Sicherheit der IH-Planung herbeigeführt und die Einsatzzeiten der Produktionsanlagen und Maschinen können deutlich maximiert werden.

Nicht zuletzt bietet der Einsatz von Predictive Maintenance auch die Möglichkeit, mit Hilfe der Informationstechnologie und der Bereitstellung von Betriebs- und Maschinendaten neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. (s. Kuhn, A., Schuh, G., Stahl, B., „Nachhaltige Instandhaltung“)

 

Predictive Maintenance – Solution Architektur

Nutzungsgrad sowie die Einsatzbedingungen von Maschinen und Anlagen werden über Sensordaten, Ereignis- und Betriebsdaten erfasst. Machine-Learning nutzt diese Datenbereitstellung durch IoT (Internet of Things) zusammen mit weiteren Prozess- und Maschinenparametern, um den Zeitpunkt der optimalen Instandsetzungsmaßnahme bzw. den drohenden Stillstand zu prognostizieren. Zahlreiche Cloudtechnologien stehen heute zur Verfügung, um umfangreiche Datenmengen aus Betriebs- und Prozessparameter-Erfassung zu speichern.

Machine-Learning nutzt historische Ereignisdaten und Daten anderer IT-Systeme, Betriebszustände von Maschinen und Anlagen um Muster zu erkennen, die in der Vergangenheit typischerweise zu Stillständen geführt haben. Die permanente sensorgestützte Überwachung der Fertigungsprozesse erlaubt es nun, einen ständigen Vergleich der erlernten Muster mit der aktuellen Datenlage zu führen. Wird nun in den Prozessparametern ein gelerntes Muster wiedererkannt, so kann eine sichere Prognose über drohende Stillstände, Stillstandgründe und Zeitpunkt übermittelt werden Auf dieser Basis können Entscheidungen für Eingriffe in Instandsetzungsmaßnahmen entwickelt und getroffen werden.

Abweichungen in den Prozessparametern, die nicht auf ein bekanntes Muster zurückzuführen sind, werden der Instandhaltung zur Verfügung gestellt, die ihrerseits nun entscheiden kann, inwieweit solche Anomalien dem Modeling-Deployment innerhalb des Machine-Learning-Prozesses elektiv zugeführt werden. Somit werden neue Betriebszustände und Stillstandgründe sowie die dazugehörenden Muster innerhalb der künstlichen Intelligenz erweitert.

Vorausschauende Instandhaltung basiert auf ein möglichst umfassendes Monitoring des Anlagen- und Maschinenparks und ihren jeweiligen Zuständen. Daten aus Sensoren, die logistische Prozesse überwachen, Zustandsdaten von Maschinen und Anlagen sowie Daten aus anderen (integrativen) Logistikprozessen können aufgrund der zunehmend zur Verfügung gestellten Bandbreite und Speichermöglichkeit analysiert und verarbeitet werden. Die 5G-Technologie bietet hierzu optimale Voraussetzungen für vernetzte Prozesse und wird ständig innoviert. Insofern können Daten herangezogen werden wie z. B.

  • Temperaturinformationen
  • Schwingungen
  • Drücke
  • Durchfluss und Abrasionen
  • Tribologische Beanspruchungsdaten
  • Ereignisdaten aus BDE-Systemen
  • Sonstige Prozessparameter

Die Platform-Technologie, wie sie z. B. AWS, Google, Azure oder auch die SAP zur Verfügung stellt, bietet die Möglichkeit, solche Sensordaten strukturiert über Cloud-Applikationen in Clouds zur weiteren Analyse bzw. Verarbeitung zu übermitteln. Hierbei kommen unterschiedliche Technologien für den Datenaustausch zum Einsatz (z. B. OPCUA oder je nach Cloud-Technologie spezielle Konnektoren)

 

Einsatzszenarien von Predictive Maintenance

Die intelligente Instandhaltung als Predictive Maintenance kann vielfältig in unterschiedlichen Geschäftsmodellen zum Einsatz kommen. Generell basiert sie auf Datenanalysen aus Prozess- und Maschinen- und Anlagenzustände. Insofern ist ein Einsatzszenario die eigene Fertigung, um den reibungslosen Ablauf der Produktionsprozesse sicherzustellen.

Aber auch in Geschäftsmodellen einer werks- oder buchungskreis-übergreifenden Instandhaltung ist die intelligente vorausschauende Instandhaltung ein denkbares Einsatzszenario.

Für den Sondermaschinenhersteller, der regelmäßig bei seinen Kunden Servicearbeiten durchführt oder bei langlebigen Investitionsgütern Erweiterungen oder Produktverbesserungen sicherstellt, ist diese Strategie ein geschäftsmodellsicherndes Prozessszenario. Die hinter dieser Instandhaltungsstrategie liegende Technologie bietet überdies auch noch die Möglichkeit, über ein Monitoring Portal die Prozessparameter der Kundenequipments zu überwachen und so frühzeitig in Abstimmung mit dem Kunden auf drohende Stillstände hinzuweisen. Die Einbeziehung von weiteren logistischen Daten wie z. B. Ersatzteilbevorratung, Lieferzeiten von Ersatzteilen, techn. Zeichnungen, Geo-Daten etc. können zu einer extremen Nachhaltigkeit in der Kundenbeziehung und der eigenen Service-Politik beitragen.

 

 

Autoren

Klaus Ulinski ist Geschäftsführer der solutIT network GmbH und spezialisiert auf Prozessanalytik in der Umgebung von SAP S/4HANA und Projektmanagement in der Begleitung von Veränderungs- und SAP- Projekten mit den Schwerpunkten SAP PM/EAM und SAP QM entlang der gesamten SCM-Prozesskette

Seine Schwerpunkte liegen innerhalb des Projektmanagement in der Begleitung von Veränderungs- und SAP- Projekten. Seine wesentlichen Tätigkeitsgebiete umfassen die Bereiche Prozess-, Organisations- und IT-Beratung u.a. mit dem Fokus auf die Umsetzung von PM/EAM sowie QM-/QIM

Jan Linke ist Geschäftsführer der solutIT network GmbH und erfahrener Managementberater. Seine Schwerpunkte liegen im gesamtheitlichen Projektmanagement auf Gesamt- oder Teilprojektleitungsebene. Seine Tätigkeitsgebiete umfassen u. a. die Bereiche SAP S/4HANA (Cloud) Transition, Prozess- / SAP- und Systemarchitektur sowie die Beratung mit Schwerpunkt im Bereich Controlling/Konsolidierung.

 

Literaturverzeichnis

Eick, Reichel, Schmidt: „Instandhaltung Kapitalstock Deutschland“, 2011, S.4

Freund, C., „Instandhaltung im Wandel“ In M. Schenk: Instandhaltung technischer Systeme: Methoden, und Werkzeuge zur Gewährleistung eines sicheren und wirtschaftlichen Anlagenbetriebes – Berlin Springer

FVI e.V. (Forum Vision Instandhaltung e.V.): „BRANCHENINDIKATOR INSTANDHALTUNG ERGEBNISSE Q3 2020“ https://www.fir.rwth-aachen.de/fileadmin/beratung/branchenindikator/branchenindikator-instandhaltung-ergebnisse-2020-q3.pdf

Kuhn, A., Schuh, G., Stahl, B., „Nachhaltige Instandhaltung“ Frnkf. Main, VDMA Verlag

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